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Es werden Posts vom November, 2020 angezeigt.

Unser "Bildungssystem" ist in Tat und Wahrheit ein "Selektionssystem"

  Angus Deaton, einer der einflussreichsten Ökonomen und Träger des Nobelpreises 2015, stellt in seinem Buch "Tod aus Verzweiflung und die Zukunft des Kapitalismus" fest, dass es in den USA einen sich laufend vertiefenden Graben "zwischen Menschen mit guter und schlechter Bildung" gibt. So ist es in einem in der "NZZ am Sonntag" vom 22. November 2020 veröffentlichten Interview zu lesen. Deaton zeigt auf, dass sich in der Gruppe weisser Männer zwischen 45 und 54 Jahren, die über keinen Hochschulabschluss verfügten, die Zahl der Todesfälle wegen Alkohol, Drogen oder Selbstmord innert 20 Jahren mehr als verdoppelt haben, eine drei Mal höhere Zahl als bei gleichaltrigen Männern, die einen Hochschulabschluss besitzen. "Der Faktor Bildung", so Deaton, "führt bei einer ganzen Reihe von Indikatoren zu einem eklatanten Unterschied, sei es beim Lohn, der Beschäftigung, der Heirat oder der allgemeinen Zufriedenheit, stets besteht ein tiefer Graben zwis

Der Lockdown im Rückblick: Auch nichtschulisches Lernen kann wertvolles Lernen sein

  Die Meinungen darüber, wie viel die Kinder während des Lockdowns, als die Schulen geschlossen waren, gelernt haben, gehen weit auseinander. "Die meisten Kinder lernten so gut wie nichts", sagt die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm. Und Simone Lucchetta behauptet sogar im heutigen "Tages-Anzeiger" vom 18. November 2020: "Praktisch jede Stunde, die die Kinder nicht in der Schule verbrachten, war eine verlorene Stunde." Dies ist wohl eine sehr einseitige Sicht der Dinge. Sie gipfelt in der Aussage, dass Kinder nur dann etwas lernen, wenn sie in der Schule sind. Wer aber das drei- oder fünfjährige Kind beobachtet, wie es, fern von jeglichem Schulunterricht, intensiv und pausenlos lernt und sich in kürzester Zeit eigenständig und selbstbestimmt ein Wissen und Kenntnisse erwirbt, die in ihrem Umfang wohl alles spätere Lernen weit übertreffen, der wird den Lernerfolg durch die Schule wohl um einiges relativieren müssen. Oft ist es sogar so, dass Lernstö

Remo Largo und der Traum von einer notenfreien Schule

  Jetzt ist der berühmte Kinderarzt und Autor Remo Largo tot. Seine zahlreichen pädagogischen Bücher und Ratgeber stiessen auf weltweites Interesse und wurden teilweise sogar ins Chinesische übersetzt. Largos Kernbotschaft: Jedes Kind ist einzigartig und lässt sich mit keinem anderen vergleichen. Largo zeigte auch auf, dass es völlig normal ist, wenn das eine Kind bereits über Fähigkeiten verfügt, die bei einem anderen Kind erst drei Jahre später vorhanden sein werden oder bereits drei Jahre früher vorhanden gewesen sind. Konsequenterweise war Largo daher auch ein vehementer Gegner von Schulnoten, denn diese gehen davon aus, dass alle Kinder einer Schulklasse am Tag X das gleiche Wissen und die gleichen Kenntnisse haben müssten, und wer davon abweicht, wird dann eben mit einer schlechten Schulnote dafür "bestraft" - schlechte Noten, die zu Enttäuschungen und zum Verlust des Selbstvertrauens führen und sich für den künftigen Lernerfolg höchst schädlich auswirken können. Doch R

Nach der Frauenemanzipation brauchen wir die Emanzipation der Kinder und Jugendlichen

  Das "Magazin" des "Tagesanzeigers" vom 31. Oktober 2020 berichtet von den erschütternden Zuständen bei den Trainingsmethoden für Kunstturnen und Rhythmische Gymnastik in Magglingen, wo schon elfjährige Mädchen bis an ihre Schmerzgrenzen und weit darüber hinaus gequält werden und viele von ihnen buchstäblich daran körperlich und psychisch zerbrechen. Wenn man die Erfahrungsberichte der Mädchen und jungen Frauen liest, voller Verzweiflung und Erniedrigung bis hin zu Suizidgedanken, dann kann man es kaum fassen, dass so etwas, was man früher nur von Rumänien oder Bulgarien kannte, mitten in einem so demokratischen und aufgeklärten Land wie der Schweiz auch heute noch möglich ist. Doch selbst wenn die öffentliche Diskussion über die Trainingsmethoden von Magglingen dazu führen würde, dass zukünftig humanere Methoden praktiziert und die Befindlichkeit der betroffenen Mädchen und jungen Frauen vermehrt ernstgenommen würde, könnten wir uns noch lange nicht zurücklehnen u

"Ich weiss nicht, warum ich nicht gerne zur Schule gehe."

  Claudia, das Kind meiner Nachbarn, hatte sich so sehr auf ihren ersten Schultag gefreut. Doch schon am zweiten Tag jammert sie und möchte viel lieber zuhause bleiben. Und das geht weiter so, Tag für Tag. Ihre Eltern sind ratlos. "Was gefällt dir denn nicht an der Schule?", möchte Papa eines Abends wissen. Doch Claudia kann es nicht sagen: "Ich weiss nicht, es ist einfach so." Ja, es ist einfach so. Es ist einfach so, dass man Kinder, die sechs Jahre lang frei und zwanglos lernen durften, von einem Tag auf den anderen Seite an Seite an Schultische setzt und sie aus lauter genau gleichen Heften die genau gleichen Zahlen oder Buchstaben schreiben lässt und ihnen somit jegliche Chance raubt, dies alles auf eigenen Wegen selber zu entdecken. Es ist einfach so, dass nicht nur das Tempo, sondern auch die Reihenfolge und die Art des Lernens, die bis anhin Sache des Kindes gewesen ist, nun von einer erwachsenen Person in die Hände genommen, geführt und organisiert wird. Es